Unternehmensberichte

Wie sieht die Kooperation zwischen Unternehmen und Bildungseinrichtungen in der Praxis aus? Welche Vorteile bietet das Duale Studium Hessen für Unternehmen?

Auf den folgenden Seiten berichten Unternehmensvertreterinnen und Unternehmensvertreter aus dem Dualen Studium Hessen.

Interview mit Nadja Sauerwein, Personalentwicklung, R+V Allgemeine Versicherung AG

R + V

Die R+V Versicherung beschäftigt deutschlandweit ca. 15.000 Mitarbeiter, darunter aktuell 454 Auszubildende und dual Studierende. Eine duale Ausbildung kann als Kaufmann bzw. Kauffrau für Versicherung und Finanzen und Fachinformatiker/in absolviert werden. Zu den angebotenen dualen Studiengängen gehört unter anderem der Bachelor of Science in Versicherungs- und Finanzwirtschaft und der Bachelor of Science in Angewandter Informatik oder Wirtschaftsinformatik.

Gibt es nach Ihren Erfahrungen spezielle Anforderungen und Voraussetzungen, die ein Unternehmen für eine Beteiligung am dualen Studium erfüllen sollte?

Sauerwein: Erst einmal ist es wichtig, dass man als Unternehmen bereit ist, die finanziellen Voraussetzungen zu erfüllen. Nachwuchskräfte im dualen Studium sind keine billigen Arbeitskräfte, sondern sollten als Investition in die Fach- und Führungskräfte von morgen gesehen werden.

Sehr häufig unterschätzen Unternehmen auch den erforderlichen Betreuungsaufwand. Hier ist Voraussetzung, dass ausreichend Fachkräfte im Unternehmen sind, die auch Kapazitäten haben, die Studierenden zu betreuen. Die Nachwuchskräfte kommen direkt nach ihrem Schulabschluss mit Abitur oder Fachabitur ins Unternehmen. Sie sind wie ein weißes Blatt Papier und wissen über den Geschäftsbereich Versicherungen nahezu gar nichts. Da muss man erst einmal viel Zeit in die Betreuung investieren. Dabei sollten die Betreuenden neben der fachlichen Qualifikation auch Spaß am Umgang mit jungen Menschen haben.

Was waren bei der Auswahl der Bildungsanbieter die entscheidenden Kriterien für Ihr Unternehmen?

Sauerwein: Prinzipiell gehen wir so vor, dass wir uns zunächst die Inhalte eines Studiengangs anschauen und prüfen, ob das zu unserer Praxis passt. Wir haben ganz verschiedene Sparten und Abteilungen, die unterschiedliche Anforderungen an das Studium haben. Nach Studienabschluss sollen die Fachkräfte über Spezialwissen verfügen, deswegen achten wir ganz genau auf die Studieninhalte und den Ablauf. Wir prüfen auch, ob der Studiengang ausbildungsintegriert ist, wie das Zeitmodell aussieht und wir berücksichtigen, ob wir mit der entsprechenden Hochschule bereits kooperieren. Wenn bereits eine Kooperation besteht, mindert es das Risiko und macht die Koordination einfacher.

Wie lange war die Vorlaufzeit, bis die Kooperation mit dem Bildungsanbieter zustande kam und welche Tipps können Sie anderen Unternehmen geben, die sich an dualen Studienmodellen beteiligen wollen?

Sauerwein: Wenn wir eine neue Ausbildungsmöglichkeit über ein duales Studium anbieten möchten, starten wir etwa ein Jahr im Voraus mit der Planung. Der Vorlauf ist schon wegen der internen Prozesse und Vorbereitung notwendig. Auch die Hochschule benötigt Planungsvorlauf und muss wissen, mit wie vielen Studierenden in den nächsten Anfangssemestern zu rechnen ist. Im Unternehmen muss sich auch rechtzeitig um die Rekrutierung gekümmert und etwa ein Jahr vorher die dualen Studienplätze ausgeschrieben werden. Wenn man ein Jahr vor Studienbeginn noch nicht weiß, mit welcher Hochschule man kooperiert, wird es schwierig.

Unternehmen, die sich neu am dualen Studienmodell beteiligen möchten, rate ich, sich mit anderen Unternehmen auszutauschen, die schon im entsprechenden Studiengang Kooperationspartner sind. Auf den Webseiten der Bildungsanbieter gibt es meist eine Auflistung der Kooperationsunternehmen. So können einfach ein paar Unternehmen kontaktiert werden und um Austausch gebeten werden. Der Austausch hilft auf jeden Fall und beantwortet wichtige Fragen, die bei der Planung aufkommen. Wir haben bei den ausbildungsintegrierten Studiengängen auch immer mit der IHK gesprochen, wie auch mit den Hochschulen. Mit den Ansprechpartnern kann man das Konzept durchgehen und offene Fragen klären.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihren Bildungspartnern generell?

Sauerwein: Die Zusammenarbeit läuft immer sehr gut. Wir haben einmal im Semester Austauschtermine mit den Bildungspartnern, bei denen wir in die Hochschule eingeladen werden. Dabei kommen Vertreter und Vertreterinnen der Kooperationspartner zusammen und es wird vorgestellt, was es Neues gibt und welche Anpassungen in dem Curriculum vorgenommen werden. Als Kooperationspartner kann man Feedback geben, was immer gut angenommen wird. Neben diesen Terminen gibt es immer die Möglichkeit, sich an die Ansprechpartner der Hochschule zu wenden und bilateral Fragen zu klären.

Erhalten Sie Rückmeldungen von den Bildungsanbietern zu den akademischen Leistungen Ihrer dual Studierenden?

Sauerwein: Nein, die Bildungsanbieter geben uns hierzu keine Informationen. Wir haben eine interne Regelung mit den Studierenden, dass sie uns nach jedem Semester ihre Leistungsübersicht mit den Noten zuschicken. Das dient weniger der Leistungskontrolle sondern vielmehr darum, dass wir rechtzeitig Probleme erkennen können und unterstützen können.

Wie werden dual Studierende in den Praxisphasen bei der Entwicklung von Handlungskompetenzen unterstützt?

Sauerwein: Für alle Studierenden wie auch für die Auszubildenden gibt es zu Studienbeginn eine Einführungsphase mit den Verantwortlichen aus der Personalentwicklung. Wir bieten Schulungen zu Lern- und Arbeitsstrategien, Gesundheitsthemen, Technik- und Versicherungsthemen, aber auch Seminare zu Soft Skills, Teambuilding, etc., an.

Handlungskompetenzen werden über die kompletten Praxisphasen gefördert, da die Studierenden in den Fachabteilungen anspruchsvolle Aufgaben erhalten. Wir haben auch so genannte Azubi-Projekte, bei denen Studierende mit Azubis über ganz Deutschland verteilt in Projekten arbeiten. Hier werden unter anderem agile Projektmethoden wie Scrum eingesetzt, die das eigenverantwortliche Arbeiten fördern.

Darüber hinaus bekommen die Studierenden regelmäßig Feedback in den Fachabteilungen, wodurch die Persönlichkeit und auch die Fachkenntnisse gestärkt werden.

Wie gestalten sich die Projektarbeiten dual Studierender in den Praxisphasen?

Sauerwein: Wie bei dem Azubi-Projekt mit agilen Projektmethoden geht es um eigenverantwortliches Arbeiten, aber die Studierenden arbeiten soweit möglich auch in den Fachbereichen im Projekt- und Tagesgeschäft mit. Dabei werden die Studierenden von ihren Fachausbildern im Fachbereich unterstützt und erhalten angepasst an ihren Lernstand entsprechend eigenständige Aufgaben.

Welche Instrumente nutzen Sie zur Steuerung? Gibt es Ausbildungs-, Qualifizierungs- bzw. Ablaufpläne und Feedbackmöglichkeit für dual Studierende?

Sauerwein: Wir haben zum einen die bereits beschriebene Einarbeitungsphase, bei der die Studierenden bei uns in der Personalentwicklung bzw. Organisationsentwicklung sind, an Schulungen teilnehmen und sich gegenseitig kennenlernen. Darüber hinaus erhält jeder Studierende einen Einarbeitungsplan. Diese Einarbeitungspläne werden vorab mit der Ausbildungsabteilung abstimmt, so dass für jede Studierende bzw. jeden Studierenden ein strukturierter Ablaufplan vorliegt. Hinzu kommen Ausbildungspläne als ein klar strukturiertes Instrument.

Außerdem haben wir individuelle Qualifizierungspläne in den Abteilungen. Hier wird immer wieder geschaut, wie sich die Studierenden entwickeln, wie der Fortschritt ist und welche Schulungen oder Hospitationen individuell noch benötigt werden. Nach jeder Praxisphase oder spätestens nach sechs Monaten erhalten die Studierenden eine Beurteilung. Dafür haben wir einen standardisierten Beurteilungsbogen, den jeder Ausbilder bzw. jede Ausbilderin nutzt. Für alle Studierenden und Auszubildenden gelten die gleichen Kriterien, die vorher mit den Auszubildenden und Studierenden besprochen werden. Dazu kommen kleinere Feedback-Gespräche, die zwischendurch geführt werden.

Alle drei bis sechs Monate gibt es noch Austauschtermine mit der Ausbildungsabteilung, also zwischen den Studierenden und der Ausbildungsabteilung, aber auch zwischen den Ausbildenden und der Ausbildungsabteilung.

Studierenden erhalten auch die Möglichkeit, ihrerseits Feedback zu geben, auch dafür gibt es einen standardisierten Feedbackbogen. Dadurch besteht die Möglichkeit, die Ausbildung mitzugestalten. Es gibt diverse festgelegte Schritte für bestimmte Gespräche mit den Studierenden und der Fachabteilung, damit der oder die Studierende auch frühzeitig weiß, wie die Übernahmemöglichkeiten aussehen und an welchem Punkt der Ausbildung er oder sie sich gerade befindet. Die Prozesse sind bei uns, soweit es geht, einheitlich innerhalb der jeweiligen Modelle und Studiengänge.

Diese klaren Prozessstrukturen und Standards sind notwendig, um in einem großen Unternehmen eine gute Organisation der Ausbildung zu gewährleisten. Die Studierenden unterhalten sich ja auch untereinander, da ist es wichtig, dass die Abläufe einheitlich und vergleichbar sind.

Wie gehen Sie im Unternehmen mit Lernschwierigkeiten um? Gibt es Unterstützung im Unternehmen, beispielsweise Mentoring oder unterstützen sich die Studierenden gegenseitig?

Sauerwein: Sowohl als auch. Wenn wir merken, dass eine Studierende bzw. ein Studierender Lernschwierigkeiten hat, ist das erste Instrument Nachhilfe, entweder mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem gleichen Jahrgang oder auch aus höheren Jahrgängen. Wenn beispielsweise jemand durch eine Prüfung gefallen ist, dann schauen wir, wer den Stoff gut bewältigt hat und bringen die beiden zusammen. Das ist auch während der Arbeitszeit in regelmäßigen Abständen möglich, etwa einmal pro Woche.

Zum anderen haben wir auch klassische Unterstützung durch die Ausbildungsabteilung und wir bieten Kurse zur Prüfungsvorbereitung an. Wir unterstützen auch durch individuelle Lernbegleitung, wenn wir bemerken, dass eine Studierende bzw. ein Studierender intensiver begleitet werden muss, etwa indem wir gemeinsam einen Lernplan erstellen.

Gibt es zum Abschluss noch etwas, was Sie einem Unternehmen, das sich für eine Beteiligung am dualen Studienmodell interessiert, mit auf den Weg geben möchten?

Sauerwein: Aus unserer Erfahrung lohnt es sich, dual Studierende einzusetzen. Man bekommt dadurch frischen Wind in das Unternehmen. Die Studierenden sind meistens hoch motiviert und nach dem Studienabschluss hat das Unternehmen sehr gut ausgebildete Fachkräfte, auch wenn man am Anfang viel anleiten muss und der Betreuungsaufwand nicht unterschätzt werden sollte. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht und werden das Programm noch weiter ausbauen.